MEINE MUTTER
aus Hebbels Tagebuch, 18.Sept. 1838 

Meine Mutter war eine gute Frau, deren Gutes und minder Gutes mir in meiner eignen Natur versponnen scheint: mit ihr habe ich meinen Jähzorn, mein Aufbrausen gemein, und nicht weniger die Fähigkeit, schnell und ohne Weiteres Alles, es sey groß oder klein, wieder zu vergeben und zu vergessen. Obwohl sie mich niemals verstanden hat und bei ihrer Geistes- und Erfahrungsstufe verstehen konnte, so muß sie doch immer eine Ahnung eines innersten Wesen gehabt haben, denn sie war es, die mich fort und fort gegen die Anfeindungen meines Vaters, der (Von seinem Gesichtspuncte aus mit Recht) in mir stehts ein mißrathenes, unbrauchbares, wohl gar böswilliges Geschöpf erblickte, mit Eifer in Schutz nahm, und lieber über sich selbst etwas Hartes, woran es wahrlich im eigentlichen Sinne des Worts nicht fehlte, ergehen ließ, als daß sie mich im Preis gegeben hätte.

(die Schreibung folgt dem Original)


 
MEIN VATER
aus Hebbels Tagebuch, 22.Nov. 1838


Mein Vater haßte mich eigentlich, auch ich konnte ihn nicht lieben. Er, ein Sclav der Ehe, mit eisernen Fesseln an die Dürftigkeit, die baare Not geknüpft, außer Stande, trotz des Aufbietens aller seiner Kräfte und der ungemessensten Anstrengung, auch nur einen Schritt weiter zu kommen, haßte aber auch die Freude; zu seinem Herzen war ihr durch Disteln und Dornen der Zugang versperrt, nun konnte er sie auch auf den Gesichtern seiner Kinder nicht ausstehen; das frohe, Brust erweiternde Lachen war ihm Frevel, Hohn gegen ihn selbst, Hang zum Spiel deutete zum Leichtsinn, auf Unbrauchbarkeit, Scheu vor grober Handarbeit auf angeborne Verderbniß, auf einen zweiten Sündenfall. Ich und mein Bruder hießen seine Wölfe; unser Appetit vertrieb den seinigen, selten durften wir ein Stück Brot verzehren, ohne anhören zu müssen, daß wir es nicht verdienten. Dennoch war mein Vater (wäre ich davon nicht innig überzeugt, so hätt ich so etwas über ihn nicht niedergeschrieben) ein herzensguter, treuer, wohlmeinender Mann; aber die Armut hatte die Stelle seiner Seele eingenommen. Ohne Glück keine Gesundheit, ohne Gesundheit kein Mensch!

(die Schreibung folgt dem Original)
 
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